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GESUND PER APP? SCHWEDEN WILL WELTWEIT FÜHREN

Vorbeugung. Diagnose. Behandlung. Überwachung. Verwaltung. Im Gesundheitswesen kommen Informations- und Kommunikationstechnologien in fast allen Bereichen zum Einsatz. Mit zunehmender Geschwindigkeit wird auch dieser Lebensbereich immer stärker digitalisiert. Ein gigantischer Markt, in dem es um sehr viel Geld geht. Eine Branche, die Verbraucher so existentiell betrifft wie kaum eine andere: Es geht um unsere Daten, um unsere Gesundheit, um unser Leben.


von Peter Marx


Werden wir auch in Zukunft noch zum Arzt gehen, oder werden technische Diagnosemöglichkeiten auf der Basis von Big-Data-Abgleichen ein viel sichereres Behandlungskonzept verordnen? Operieren uns Computer? Was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Körperwerte? Kann E-Health helfen, tückische Krankheiten zu besiegen?


Es geht um Entwicklungen, die großartige Chancen bergen, aber auch ernste ethische Fragen aufwerfen. Schon 2015 hat der Bundestag das E-Health-Gesetz beschlossen, das die Einführung von E-Health-Technologien im deutschen Gesundheitswesen regelt.

Die Relevanz des Themas hat man in Deutschland lange erkannt, doch wie so oft bewegt sich der deutsche Tanker etwas behäbiger als das kleinere Schweden, dessen Regierung die Vision formuliert hat, bei der Nutzung der mit E-Health verbundenen Chancen global führend zu sein. Zweifellos sind die Bedingungen für einen gewissen Pionierstatus in Schweden günstig. Die schwedische Bevölkerung sieht die Digitalisierung grundsätzlich positiv und hat großes Vertrauen in digitale Innovationen. Informationen werden von zentralisierten Behörden und Registern, für alle zugänglich, verwaltet. Die Bürger pflegen eine offene, vielleicht bisweilen etwas sehr unbekümmerte, Haltung zur Verwendung ihrer persönlichen Daten. Eine große und pulsierende Start-up-Szene erhält relativ leicht Zugang zu neuer Forschung, Startkapital und möglichen Kooperationspartnern. Und das Gesundheitssystem ist öffentlich, auf der Basis eines als Volksversicherung konzipierten Systems. Gute Voraussetzungen also, um im Bereich E-Health erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln und später auch ins Ausland exportieren zu können. Denn das muss man, ist der Heimatmarkt klein. Der deutsche Gesundheitsmarkt hingegen ist gigantisch, das Potential entsprechend groß.


Um das Ziel, in wenigen Jahren global führendes Land im Bereich E-Health zu werden, zu erreichen, wurde in Schweden 2014 eine eigene Behörde gegründet,  eHälsomyndigheten. Ähnliche Institutionen gibt es auch in zahlreichen anderen Ländern, nicht aber in Deutschland. Die Behörde koordiniert die Maßnahmen der Regierung und bietet eine Reihe von Dienstleistungen und Produkten an – für die Bürger, aber auch für die Branche.

Zum Beispiel werden schon heute etwa 99 % aller Rezepte digital ausgestellt. Jede Apotheke kann die vom Arzt eingegeben Daten dann abrufen und die Medikamente aushändigen. In naher Zukunft, ab dem 1. Juni 2020, soll die gesamte „Rezeptbiographie“ eines Patienten in einer zentralen Datenbank, der „läkemedelslistan“ gespeichert werden. Für Ärzte, Pfleger, Apotheken und die Patienten selbst ist dann einsehbar, welche Arzneimittel ein Patient verschrieben und ausgehändigt bekommen hat. Auf diese Weise verspricht man sich mehr Sicherheit für die Patienten und ein vermindertes Risiko von Arzneimittelmissbrauch. Und in einer elektronischen Gesundheitsakte sind Informationen wie Krankenvorgeschichte, Diagnosen, Laborwerte, Befunde, medizinische Verordnungen und vieles mehr gespeichert.


Deutschland: Die Datenhoheit hat der Patient Bei Ihnen stellt sich dabei ein leichtes Störgefühl ein? Dann lautet die Diagnose: Sie sind ein datenneurotischer Deutscher, dem das Grundvertrauen der Schweden fehlt, dass mit den Daten bestimmt in Ihrem Sinne umgegangen wird. Entsprechend soll in Deutschland die Datenhoheit bei den elektronischen Patientenakten (ePA) komplett beim Patienten bleiben. Die geplante Datenbank soll die Anamnese, Behandlungsdaten, Medikamente, Allergien und weitere Gesundheitsdaten der gesetzlich Krankenversicherten sektor- und fallübergreifend, landesweit einheitlich speichern, geht also über die Rezeptbiographie deutlich hinaus. Die Krankenkassen wurden jüngst gesetzlich verpflichtet, ihren Versicherten ab dem 1.1.2021 eine elektronische Patientenakte zur Verfügung zu stellen. Die Patienten sollen hier auch eigene Daten ablegen können – und sie können ihre Daten künftig auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen. Damit – so das Ziel - sind die Patienten über Diagnose und Therapie viel genauer und umfassender informiert und können besser als bisher über ihre Gesundheit mitentscheiden.

Ärzte, Zahnärzte, Apotheken und Pflegeeinrichtungen können die Daten bei Bedarf überall ohne Zeitverlust abrufen – aber nur, sofern der Patient, der die alleinige Verfügungsgewalt über seine Akte hat, dem zustimmt. Die Daten können je nach Modell zentral oder dezentral gespeichert werden. Der Datenzugang erfolgt über die elektronische Gesundheitskarte, die ja bereits für alle Kassenpatienten eingeführt wurde und gegenwärtig nur die Versichertenstammdaten enthält. Für den Austausch medizinischer Information soll eine eigene Datenautobahn für das Gesundheitswesen aufgebaut werden, die mit ihren Diensten und Komponenten Telematikinfrastruktur genannt wird. Ausschließlich berechtigte und zugelassene Nutzer im Gesundheitswesen können die Anwendungen und Systeme verwenden.


Digitale Sprechstunden noch im Pionierstadium Stellen die Schweden schon alle ihre Diagnosen per App? Auch im Norden sind die telemedizinischen Angebote noch am Anfang. Zwar dürfen Ärzte eine Behandlung in manchen Landkreisen allein auf telemedizinischen Diensten aufbauen, einen national einheitlichen Rahmen gibt es hierfür jedoch noch nicht. Telemedizin findet zumeist zwischen Ärzten statt, die Diagnosen oder Röntgenbilder miteinander austauschen. Zurzeit werden Richtlinien erarbeitet, wann eine Online-Konsultation sinnvoll ist und wann sie vermieden werden sollte. Zudem werden in zahlreichen Landkreisen neue IT-Systeme beschafft.

Über die zentrale Webseite 1177.se können die Schweden eine Fülle von Gesundheitsinformationen abrufen und sich orientieren, wo sie für welche Probleme in ihrem Landkreis Hilfe finden. Hier kann man sich auch einloggen und Zugang zu seiner elektronischen Gesundheitsakte erhalten.

Schweden hat klaren Vorsprung gegenüber Deutschland, was die digitale Gesundheit angeht. Beide Länder haben klare Strategien und werden die Veränderungen vorantreiben, die in den nächsten Jahren unzweifelhaft im Alltag jedes Patienten ankommen werden. Schwedische Unternehmen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen: das Unternehmen KRY meldet starke Wachstumszahlen in der konkreten Telemedizin und startet jetzt auch in Deutschland. (siehe Interview in dieser Ausgabe). Ein sensibles Thema bleibt in jedem Fall der Datenschutz. Haben Ärzte und medizinisches Fachpersonal in Schweden grundsätzlich Zugang zur elektronischen Gesundheitsakte eines Patienten, so soll dies in Deutschland jeweils nur mit fallweiser Zustimmung der Patienten möglich sein.

Wie auch immer das im Detail gelöst wird:  Auch wenn unsere Körper hoffentlich noch lange analog bleiben, die Gesundheitsvorsorge und die Behandlungsmethoden werden sich rasant weiter digitalisieren.

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