Bodennahe Sommerdiamanten
- Janina Reinsbach
- 21. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Über Erdbeeren im Norden

Wo mag es sie wohl wirklich geben, die beste Erdbeere der Welt? In Schweden ist man sich sicher: hier! In Norwegen allerdings auch. Finnland und Dänemark stehen dem um nichts nach. Vielleicht scheint es ja überraschend, dass eine so süße, sommerliche Frucht ausgerechnet in den kühl und karg wirkenden skandinavischen Ländern nicht nur sehr beliebt ist, sondern auch hervorragend wächst. Während des Sommerhalbjahrs von Mai bis September ist Schweden nämlich selbstversorgend, was Erdbeeren angeht. In Norwegen stammt immerhin ein Drittel der verspeisten Erdbeeren aus dem eigenen Land.

Und die wachsen nicht nur im Süden. Dass Dänemark große, süße Erdbeeren anbaut, überrascht kaum. Aber auch im nordschwedischen Jämtland werden Erdbeeren angebaut; sogar ökologisch, mit Blick auf den Storsjö und die Berge. Ähnlich kommen in Norwegen die bekanntesten Erdbeeren aus Valldal, was ebenso weit nördlich liegt. Hier führt das milde Klima zu einer mittlerweile hundertjährigen Erdbeer-Anbautradition. Das finnische Suonenjoki, das für seine Erdbeeren bekannt ist, blickt gleichermaßen auf eine hundertjährige Anbautradition zurück und liegt auf ziemlich genau demselben Breitengrad. Ob das ein Zufall ist?
Missverstanden als Obst
Genau genommen ist sie gar keine Frucht, die Erdbeere, sondern eine Nuss, bzw. ein überdimensionierter Blütenboden. Die Existenz des ab 1740 in der französischen Bretagne zusammengezüchteten Hybrids aus nordamerikanischen und chilenischen Erdbeeren und einer Smultron-, also Walderdbeeren-, Sorte, wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Skandinavien spruchreif. Hier fand auch der etymologische Wechsel statt von der eingesessenen „Smultron“ zu einer „Beere auf der Erde“: „jordbaer“/“jordgubb“.

Dabei ist eine „Smultronställe“, also der Fleck, an dem die besten Walderdbeeren wachsen, im Schwedischen längst von einer gut gehüteten Ortsbezeichnung Pflückender im übertragenen Sinne zu etwas Größerem geworden; sprichwörtlich bezeichnet das Wort einen absoluten Geheimtipp, dessen Preisgabe ein großer Vertrauensbeweis ist.
Bräuche für die Bäuche
Mittsommer ist in Schweden undenkbar ohne frische Erdbeeren. Angeblich werden 10% der schwedischen Erdbeeren an Mittsommer gegessen. Leicht gezuckert mit Schlagsahne oder in den prächtigsten Sahne- und Cremetortenvarianten findet sich dieser Brauch in allen nordischen Ländern wieder.

Dieses Jahr sind die Preise für schwedische Erdbeeren aufgrund eines kalten Mai-Monats sehr hoch, was für Entrüstung sorgt aber auch zu Alternativlösungen führt wie einer verstärkten Nutzung von Anlagen zum Selbstpflücken. Tatsächlich gibt es in manchen Regionen mittlerweile eine nächtliche Bewachung der Erdbeerländer, um Diebstahl aber auch Vandalismus vorzubeugen.
Weiterhin besteht ein Konsens, dass möglichst Erdbeeren aus dem eigenen Land auf dem Festtagstisch landen, da man diesen nachsagt, die schmackhaftesten zu sein.

Das schwedische Fernsehen Svt steuerte einen Feldversuch zum Thema bei: Im Blindtest sollte das Team bewerten, welche Erdbeere schwedisch ist und welche besser schmeckt. Dabei kam allerdings die belgische Beere besser weg.
In Finnland gibt es seit den Siebzigern einen eigenen Erdbeerkarneval in Suonenjoki, der jährlich am zweiten Juliwochenende stattfindet und ursprünglich Charakter eines Erntefestes hatte. Heute zieht dieses Event 20.000 BesucherInnen an. Die Erdbeeren aus Suonenjoki, „Suonenjoen mansikka“, wurden vor zwei Jahren auf europäischer Ebene namentlich registriert. Sie sind die einzige Beeren, die in Zügen verkauft werden, weshalb der Bahnhof von Suonenjoki entsprechend dekoriert ist.
Was für Sorten?

Früher wusste jeder, welche Erdbeersorte sich besser zum direkten Verzehr eignete und welche zum Konservieren – sei es in gefrorener Form oder als Marmelade. Es gibt Sorten, die früher im Sommer Ertrag liefern und welche, die später reifen. Haltbarkeit ist ein weiteres Thema und die Regionalität ergibt auch deshalb Sinn, weil die Beeren bei kürzeren Wegen nicht unreif geerntet werden müssen. Heute ist es schwer, bei all den vielen Sorten den Überblick zu behalten, doch zeigen sich ein paar klare Schwerpunkte gerade in den Anbaugebieten weiter nördlich, sicherlich auch aufgrund der Anbaubedingungen.

Während in Dänemark die etablierte Sorte Honeoye mit großen, dunkelroten Beeren besonders geschätzt wird, finden sich in Nordschweden, Norwegen und Finnland viel Sonata und Korona. Korona reift in der Mitte des Sommers, besticht durch ein intensives Aroma, ist aber empfindlich beim Transport und eignet sich nicht zum Konservieren. Sonata ist eine neuere Sorte, die sich durchsetzt, weil sie gut schmeckt und sich lange hält. Später im Sommer verlängert dann Malwina die Saison mit satt-roten, aromatischen Beeren. Norwegen und Finnland verbindet eine Affinität zur Sorte Polka, die etwas später reift als Korona und sich auch vorrangig gut als Verzehrbeere eignet. Etliche dieser Sorten eignen sich offenbar gut für ökologische Anbaumethoden.
Und das Geheimnis?

Kaum bekannt ist, dass Erdbeeren mehr Vitamin C enthalten als Apfelsinen. Trotzdem sind sie natürlich viel mehr als nur gesund: sie läuten in Skandinavien den Sommer ein, sie verzieren und veredeln sommerliche Festtagstische und stehen mit ihrem leuchtenden Rot und ihrer frischen Süße für den Stolz auf eine regionale Erfolgsgeschichte im Anbau. Die These von Kennern der skandinavischen Erdbeerkultur lautet einfach, dass die langen Tage mit der vielen Sonne und die frischen Nächte den Erdbeeren zu ihrem ganz eigenen Verhältnis aus Süße und Säure verhelfen. Wenn man sich die Gebiete bestimmter Erfolgserdbeeren und ihre auffallende Verortung auf einem bestimmten Breitengrad anschaut, ist man geneigt, das für möglich zu halten.

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