Elin Anna Labba wurde 1980 in der nordschwedischen Stadt Kiruna geboren. Im Sommer lebte sie mit ihrer Familie in einer traditionellen samische Kote in Vájsáloukta. Obwohl sie Samin ist, hat sie als Kind die samische Sprache nie gelernt. Erst als sie 25 Jahre alt war, kam sie dazu und hat Samisch gelernt, wie viele andere ihrer Generation. Die Sprache öffnete ihr neue Türen, sie brauchte die Sprache, um sich samischen Erzählungen zu nähern.
Ihr erstes Buch “Herrarna satte oss hit” (Die Herren haben uns hierhergebracht) ist ein Sachbuch über die erzwungene Umsiedlung den Samen in den 1920er und 1930er Jahren. Das Buch basiert auf ihrer eigenen Familiengeschichte sowie auf Interviews, Fotos und Briefen. Es wurde 2020 mit dem schwedischen Literaturpreis, dem August-preis, ausgezeichnet.
Der Hintergrund dieser Zwangsumsiedlung war, dass Norwegen ein eigenständiger Staat geworden war. Die Tatsache, dass Menschen Rentiere über die Grenze trieben, war ein großes Problem für den norwegischen Staat, der das Land für seine eigenen Bürger erhalten wollte. 1919 einigten sich Schweden und Norwegen darauf, die Anzahl der über die Grenze getriebenen Rentiere zu begrenzen - das war der Auftakt der Zwangsumsiedlung. Die Samen gerieten in unbekannte Gebiete, wo sie nicht immer willkommen waren, und Konflikte ent- standen, die bis heute nicht gelöst sind. Familien wurden getrennt, und einige habe sich nie wieder gesehen.
Elin Anna Labba erzählt, dass die Zwangsumsiedlung von Sprachlosigkeit geprägt war, Sprachen gingen verloren, und niemand hat den Samen erklärt was vor sich ging oder hat für sie übersetzt. In ihrem Buch tritt die samische Sprache unter anderem im Joik – dem traditionellen samischen Gesang – und in Briefen auf. Man könnte sagen, dass Elin Anna Labba versucht, einen Teil dessen zurückzugewinnen, was damals verloren gegangen ist, oder zumindest den Samen Wiedergutmachung zu verschaffen – eine aktivistische Handlung.
Das Buch wurde auch, im Januar 2024, als Theaterstück im Stadttheater Uppsala realisiert, und auf der Bühne treten andere Dimensionen vor, wie zum Beispiel der Joik, der im Theater zum Leben erweckt werden kann.
Elin Anna Labba’s zweites Buch, “Far inte till havet” (Fahr nicht ans Meer) wurde im Januar 2024 veröffentlicht. Der Roman handelt von einem großen Wasserkraftprojekt des 20. Jahrhunderts, bei denen der Staat den Wasserspiegel aufstaute und einen riesigen Stausee anlegte; von den Anfängen 1923 bis zur letzten Flutung in den 70iger Jahren. Die Familie von Elin Anna Labba und ihre Verwandten sahen ihre Häuser im Wasser untergehen. Nach der letzten Flutung wurde der Stausee so groß, dass man bei schlechtem Wetter das andere Ufer nicht sehen konnte.
“Das Meer”, wie die älteren Leute den Stausee nannten, von dem musste man sich fern-halten. Im Buch bekommt das Meer eine eigene Stimme, es ist ein eigenes Ich. Neben dem Meer dreht sich das Buch um drei Frauen; die Mutter, die Tochter und eine Tante - und ihre Beziehungen zueinander und zur Natur. Die Flutungen geschahen von einem Tag auf den anderen, und plötzlich stand alles unter Wasser. Die älteren Verwandte leben immer noch mit einer unsichtbaren Landschaft: den Hütten, den Sümpfen, der Landzunge, wo die Schule stand. Der Birkenwald, der noch lange unter der Ober-fläche grünte, und die Koten, die wie Skelette im Wasser standen.
“Far inte till havet” entstand aus den Interviews von “Herrarna satte oss hit”, in denen viele Befragte auch über die Flutungen sprachen. Die Herren, also der Staat, sind in beiden Büchern anwesend, nicht körperlich aber durch ihre Entscheidungen und die unumkehrbaren Folgen. Es geht ebenso sehr um den See wie um die Suche nach einem Zuhause, um dessen Verlust und Wiederaufbau. Die zentrale Frage lautet; Wie verhält man sich zu den neuen Umständen? Und kann man zu Hause sein, wenn der Boden unter einem zerbröckelt?
Die Interviews haben sich zu wertvollen Gesprächen entwickelt, wie Gaben für Elin Anna Labba. Das Buch wurde sowohl auf Schwedisch als auch auf Nordsamisch gleichzeitig veröffentlicht. Obwohl Elin Anna Labba das Buch auf Schwedisch geschrieben hat, versuchte sie bewusst, sich stilistisch der samischen Sprache anzunähern. Die befragten Samen berichteten von Machtlosigkeit und extremer Unsicherheit im Alltag und im Leben – sie waren nie sicher, ob sie an einem Ort bleiben konnten, ob dieser Ort und die Sachen am nächsten Tag noch existieren würden. Sie haben gelernt, sich an neue Bedingungen anzupassen und Übergänge zu erleichtern.
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