Wussten Sie, dass einige der größten Baumärkte in Schweden aus Deutschland kommen? Bauhaus betreibt 21 Filialen mit 2.400 Angestellten, Hornbach hat sieben Läden und 650 Angestellte. Baumärkte gehörten zu den Gewinnern der Coronakrise, denn nie war das Interesse am Heimwerken größer.
Doch längst nicht jeder verfügt über das erforderliche Geschick – und manchmal muss auch der versierte DIY-Fan einen Handwerker rufen. Das Handwerk ist eine traditionsreiche und vielseitige Branche. Definiert sind die handwerklichen Tätigkeiten dadurch, dass sie im Gegensatz zur Industrie Produkte meist auf Bestellung anfertigen oder Dienstleistungen auf Nachfrage erbringen.
HandwerkerInnen und Kaufleute waren jahrhundertelang verschiedenen Zünften angeschlossen, die sich mit organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen befassten. Seit dem Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert hat das Zunftsystem geregelt, wer welches Handwerk ausüben durfte. Die Zünfte bildeten ein soziales und ökonomisches System zur Regelung von Rohstofflieferungen, Beschäftigungszahlen, Löhnen, Preisen, Absatzmengen bis hin zur Witwenversorgung. Zünfte umfassten mitunter mehrere Berufsgruppen. Äußeres Zeichen waren nach mittelalterlicher Tradition je nach Zunftordnung Wappen, Zunftzeichen und -kleidung. In Schweden wurde das 1846 abgeschafft, in Deutschland galt spätestens seit 1871 überall die Gewerbefreiheit, obwohl viele Regelungen noch lange nachwirkten. Die Zünfte wären heutigen Verbraucherschützern sicher ein Dorn im Auge: Sie sicherten den Mitgliedern zwar ein „standesgemäßes“ Auskommen, verhinderten aber Preiswettbewerb und bremsten Innovationen.
Traditionen prägen das Handwerk bis heute – so sind handwerkliche Berufe in Deutschland wie in Schweden immer noch stark männerdominiert. 2020 gab es etwa 280.000 HandwerkerInnen in Schweden, nur fünf Prozent waren Frauen. Die größten Berufsgruppen sind Tischler, Elektriker, Mechaniker, Sanitärinstallateure und Maler. In Deutschland ist das Handwerk deutlich größer: In rund 887.000 Betrieben arbeiten knapp fünf Millionen Menschen, das sind knapp 13 % aller Erwerbstätigen – fast 500.000 Auszubildende kommen hinzu.
HandwerkerInnenmangel nimmt zu
Wer vor der Berufswahl steht, sollte wissen: Auch in Schweden führen HandwerkerInnen die Liste der häufigsten Mangelberufe an. Die Nachfrage steigt, gleichzeitig entscheiden sich zu wenige Menschen für eine Ausbildung. Landesweit, besonders aber in Stockholm, herrscht ein großer Mangel an HandwerkerInnen. DachdeckerInnen, KlempnerInnen und ElektrikerInnen gehören zu den Berufen, in denen es ständig an Personal mangelt.
Das Durchschnittsalter der Facharbeiter ist hoch, und Pensionierungen werden in naher Zukunft einen großen Bedarf an neu ausgebildeten Arbeitskräften nach sich ziehen. Gleichzeitig wächst die Nachfrage, da immer mehr Menschen sich dafür entscheiden, beispielsweise Hausanstriche und andere Dinge nicht selbst auszuführen, sondern HandwerkerInnen zu beauftragen. Viele junge Leute bevorzugen heute akademische Berufe oder Tätigkeiten im Büro. Zum Mangel dürfte beitragen, dass es in Schweden kein duales Lehrlingssystem gibt. Die schwedische öffentliche Arbeitsverwaltung schätzt, dass die Zukunft für alle diese Berufsgruppen gut aussieht, mindestens bis 2026 wird es wenig Konkurrenz um Jobs geben. Auf dem sprichwörtlich goldenen Boden des Handwerks ist also in Schweden viel Platz für gute Fachleute.
Wartezeiten und steigende Preise
Die Suche nach einem Handwerker kann schon jetzt ziemlich lange dauern. Hat man einen, bleibt eine Unsicherheit, ob er auch kommt. Schwedischen HandwerkerInnen fällt es schwer, nein zu sagen. Eine der häufigsten Beschwerden über HandwerkerInnen ist tatsächlich, dass sie nicht pünktlich erscheinen oder die KundInnen nicht benachrichtigen, wenn sie zu spät kommen. Auch an der Qualität gibt es bisweilen Zweifel. Mindestens 10.000 Schweden wenden sich jedes Jahr mit Beschwerden über Handwerkerleistungen an die Verbraucherberater der Kommunen.
Und nun auch noch dies: Die Baustoffpreise schnellen in die Höhe, die Gesamtpreise in den meisten Kategorien dürften zweistellig steigen. Die Holzpreise stiegen 2021 zum Teil um über 70 %.
Dazu trug die hohe Nachfrage bei, vor allem aber die weltweite Transportkrise, die die Frachtpreise dramatisch ansteigen ließ.
Ein Gegenwicht setzt die schwedische Regierung mit der Subventionierung der Arbeitskosten von HandwerkerInnen, die in einem gewissen Prozentsatz von der Steuer abgesetzt werden können, dem sogenannten ROT-avdrag.
Verordnungen und Zulassungen: erstaunlich locker
In Deutschland ist jeder Handwerksbetrieb Pflichtmitglied in der regional zuständigen Handwerkskammer. Eine solche Pflicht gibt es in Schweden nicht, allerdings organisieren sich die Betriebe teilweise selbst. Die Hantverkarnas Riksorganisation ist eine solche Unternehmensorganisation für Handwerksbetriebe und Handwerksverbände. Auch die MalermeisterInnen haben ihren Verband, es gibt die Elektroinstallateur-Organisation, die Installationsunternehmen und den schwedischen Verband der mechanischen Werkstätten. Ein bisschen von der Zunftidee lebt also auch heute doch noch. Ein Befähigungsnachweis ist in Schweden nur in seltenen Fällen notwendig. Die bei der Ausführung einer Tätigkeit zu beachtenden Normen sind weniger zahlreich als in Deutschland, in Schweden gibt es weder Handwerksgesetzgebung noch gesetzliche Listen zu den Gewerken. Außer einer Ausbildung von zwei bis drei Jahren mit Gesellenabschluss bedarf es für eine Betriebsgründung keiner weiteren Nachweise. Ausnahmen bilden gefahrgeneigte Gewerbe, und solche, die die öffentliche Infrastruktur beeinflussen wie ElektrikerInnen oder KlempnerInnen. Diese benötigen von den örtlichen Behörden eine Lizenz. Ein Meistertitel kann auf Antrag verliehen werden, Industrieverbände können – unter Nachweis einer mindestens sechsjährigen Berufspraxis und kaufmännischer Kenntnis – Meisterbriefe ausstellen, Voraussetzung für die Betriebsleitung oder Betriebsgründung ist dies allerdings nicht.
Der Weg zum Handwerksberuf kann über die gymnasiale Oberstufe gehen, bei der schwedische SchülerInnen ein praktisches Profil wählen. Auch die Möglichkeit, sich als Erwachsener an einer Fachhochschule zu bewerben oder eine Stelle als Lehrling bei einem aktiven Berufstätigen anzutreten, besteht. Dies ist aber längst nicht so üblich und stringent organisiert wie in Deutschland. Egal, welchen Weg man wählt, gehört eine Qualifikationszeit dazu. Das heißt, man bekommt ein praktisches Training bei einem Arbeitgeber. Nach dieser Zeit als Lehrling folgt eine berufstheoretische Prüfung. Besteht man diese, erhält man sein Zertifikat als Qualifikationsnachweis für das Berufsleben.
Sie suchen in Schweden einen Handwerker? Vermeiden Sie das Risiko, an unqualifizierte Dienstleister zu geraten, die womöglich mehr
Schaden als Nutzen bringen mit diesen Tipps:
• Schauen Sie sich Bewertungen und Empfehlungen anderer KundInnen an
.
• Prüfen Sie, ob der Handwerker ein Gewerbe hat und mehrwertsteuerberechtigt ist
(Nachweis über den „F-skattesdel“) und über eine gültige Haftpflichtversicherung verfügt.
• Prüfen Sie, ob der Handwerker Mitglied in verschiedenen Branchenverbänden ist
• Fragen Sie nach Nachweisen über Zertifikate.
Wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks: ein Standortfaktor
Der Blick auf die Branche zeigt: Das Handwerk in Schweden ist stark nachgefragt – wer gut qualifiziert ist, kann von einer sicheren Beschäftigungslage ausgehen. Doch die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks erschließt sich nicht nur aus der Anzahl der Betriebe, der dort beschäftigten Erwerbspersonen und deren Wertschöpfung. Darüber hinaus hat das Handwerk eine besondere regionalpolitische Bedeutung: Die Handwerksbetriebe sind über die Fläche verteilt und tragen Wachstum und Beschäftigung auch in die ländliche Region. Gerade in strukturschwachen Regionen ist die Verfügbarkeit von Handwerksleistungen wiederum ein wichtiger Standortfaktor: Für Standortentscheidungen von Unternehmen ist nicht selten die ortsnahe Verfügbarkeit von Handwerksleistungen (Zulieferer, Dienstleister, Instandhaltung) ein wichtiger Faktor. Für die privaten Haushalte ist die ortsnahe Versorgung mit Leistungen des Handwerks (z. B. Heizungsinstallateure, Kfz-Werkstätten etc.) ein Faktor, der Lebensqualität und Attraktivität der Region vermittelt. Heißt im Umkehrschluss: Fehlen HandwerkerInnen, schadet das der ganzen Region. Schweden sollte sich also aktiv darum bemühen, handwerkliche Berufe attraktiv zu machen. Dazu könnten Änderungen im Ausbildungssystem gehören – oder auch kreative Imagekampagnen, die Jugendliche bei der Berufswahl in diese Richtung motivieren können.
Unlängst haben mehrere regionale Handelskammern in einem Debattenbeitrag deutlich gemacht, dass die Attraktivität der Ausbildung von SchweißerInnen, WartungstechnikerInnen und anderen Handwerksberufen durch Lehrlingsausbildungen in den Betrieben nach dem Vorbild des deutschen dualen Systems gesteigert werden können. Hier könne eine Antwort auf den dramatischen HandwerkerInnenmangel liegen. Es ist einfach motivierender, in einem betrieblichen Umfeld mit erfahrenen KollegInnen zu lernen als in einer Berufsschule ohne richtigen Praxisbezug.
Als HandwerkerIn in Schweden arbeiten?
Sind Sie HandwerkerIn und möchten in Schweden arbeiten?
Hier sind einige Dinge, die Sie beachten sollten.
• Deutsche Handwerksbetriebe werden in Schweden zumeist anerkannt, jedoch müssen die örtlichen Stellen hierzu befragt werden. Grundsätzlich gelten für deutsche ArbeitnehmerInnen die EU-Vorschriften.
• In Schweden muss man nicht Mitglied in einer Handwerkskammer sein.
• In beiden Ländern gibt es ein System mit Gesellenbrief und Meisterbrief.
• In Schweden sollte man zumindest Englisch, besser natürlich Schwedisch sprechen.
• Deutschland und Schweden haben ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen, das bedeutet, dass die deutschen Rentenansprüche bei einer Auswanderung nach Schweden
erhalten bleiben.
• Jede/r BewohnerIn Schwedens ist automatisch bei der staatlichen Krankenversicherung versichert.
Carl Eriksson
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