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“Ich hasse Helden, die Erfolg haben” Ruben Östlund - ein Portrait 


Ruben Östlund ist einer der erfolgreichsten aktiven Filmregisseure und Drehbuchautoren Schwedens. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2017 wurde sein Film “The Square” mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. 2022 hat er erneut eine Goldene Palme gewonnen, diesmal für “Triangel of Sadness”. Die Liste von Filmpreisen ist lang und schwer überschaubar - er hat mehrere Mal den Europäischen Filmpreis gewonnen, ebenso den wichtigsten Filmpreis Schwedens, “Guldbaggen” oder “Der Goldkäfer”. 


Kennzeichnen seinen Filmen sind Unvorhersagbarkeit, scharfe Beobachtungen menschlichen Verhaltens mit einem besonderen Humor. Er ist ein Regisseur mit einem soziologischen Blick auf die Gegenwart und pointierter Gesellschaftskritik. Film nur als Unterhaltung mag er nicht - er möchte vom Publikum eine Reaktion haben.

  

Seine Filmkarriere hat in den Alpen angefangen, wo er seine Freunde beim Skifahren und Skistunts gefilmt hat.   


Als er sein Studium auf der Filmhochschule in Göteborg begann, gab es einen Trend, die Kamera auf sich selbst zu richten. Diesen Trend hat er aufgenommen und in den ersten Filmen “Låt dom andra sköta kärleken” (Lass die anderen sich um die Liebe kümmern) und sein Abschlussfilm “Familj igen” (Wieder Familie), eine Dokumentation über die Scheidung seiner Eltern, hat er genau das gemacht. Diese Perspektive prägt noch heute sein Filmschaffen, er holt viel Inspiration von seinem eigenen Leben und von Leuten in seiner Umgebung. Das Filmemachen wird im Dialog mit anderen zusammen entwickelt, er erzählt gerne über seine “Pitches” und hört Tipps und Feedback zu.  


 

Inspiration aus dem eigenen Leben 


In seinem letzten Film “Triangel of Sadness” von 2022, ist eine der ersten Szenen genauso aus seinem eignen Leben genommen; ein junges Liebespaar sitzt in einem schicken Restaurant und gerät in eine bedrängte Situation über die Frage, wer die Rechnung bezahlen soll. In einem Interview hat er gesagt: diese Situation sei sehr interessant, weil sie auf so viele verschiedene Weise empfindlich sei. Es geht um Geld, Paare, kulturelle Erwartungen und so weiter. Diese ist eine typische Situation aus seinem eigenen Leben, in die er sich vertieft hat und die er verwendet in seinen Filmen. Östlund meint, dass alles in Beziehung zu anderen geschaffen wird und alles auf Vorlagen basiert. 



Auch in “De ofrivilliga” (Die Unfreiwillige) aus dem Jahr 2008 gibt es eine Situation, die ihre Vorlage in der Wirklichkeit seines ehemaligen Freundeskreises hat. Der Jargon bei einem Männerabend eskaliert und Grenzen werden überschritten. Was für einige eine Practical Joke ist, wird für andere zu sexuellem Missbrauch. Dieses Ereignis hat eine Wunde verursacht, die nie verheilt ist, hat Östlund erzählt. Er erklärt, dass er beide Seiten verstehen muss - die Opfer und den Tätern - um schwierige Situationen zu verfilmen.  


Mit “De ofrivilliga” hatte Östlund seinem internationalen Durchbruch. Außer der Geschichte von dem entgleisten Männerabend besteht der Film aus noch vier unabhängigen Geschichten, in denen die Figuren unter dem Zwang der Gruppe moralische Grenzen überschreiten. Es ist eine komische Tragödie über den Einfluss der Gruppe auf den Einzelnen. „De ofrivilliga“ wurde der Beitrag Schwedens in der Kategorie des Oscars für den besten nicht englischsprachigen Film. 


Sein Spielfilmdebüt war der Film „Gitarrmongot“ (Der Gitarre-Mongo) aus dem Jahr 2004. Der Film besteht aus vielen kürzeren Szenen mit wiederkehrenden Charakteren; darunter ein 12-jähriger Junge namens Erik, der an verschiedenen Orten aggressive Punkmusik auf einer Akustikgitarre spielt. Der Film ist eine Pseudodokumentation, mit der Östlund die unschönen Seiten des Alltagslebens und Menschen mit unterdrückten Gefühlen zeigt.  


 

Erfolgreich in Cannes 


Seine erste Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes hat Östlund mit dem Film "The Square" (Das Kästchen) aus dem Jahr 2017 gewonnen. Der Film ist ein satirisches Drama über die Kulturwelt, der Östlund selbst zugehört. 


“Das Kästchen” war von Anfang ein Kunstprojekt und eine Ausstellung von Östlund und seinem guten Freund Kalle Boman. Es fand in Värnamo, in Schweden, 2015 statt. “Das Kästchen” ist eine permanente Installation und besteht aus einem neun Quadratmeter großen Quadrat mit weißem Rahmen im öffentlichen Raum. “Das Kästchen” ist eine Freizone, in der gemeinsame Rechte und Pflichten gelten. Wer Hilfe braucht, kann zum “Kästchen” gehen. Wenn sich jemand darin befindet, ist der dafür verantwortlich, Kontakt mit dieser Person aufzunehmen und ihr zu helfen. Im “Kästchen” können persönliche Gegenstände abgelegt werden, und es wird nichts daraus gestohlen. 





In dem Film wird die Installation wiedergezeigt, und der Film dreht sich um Christian, der als Chefkurator in einem Kunstmuseum arbeitet. In einer der bekanntesten Szene wird ein Performancekünstler, der einen Affen spielt, zu einem wilden Tier und veräppelt die prominenten Gäste eines luxuriösen Banketts. Was anfangs Spaß gemacht hat, wird für die Gäste mehr und mehr unangenehm. In “The Square” treffen das Zivilisierte und Anspruchsvolle auf die raue, wilde Natur –die es in uns allen gibt.  




 

Rassismus sichtbar machen 


Östlund ist ein Provokateur und will mit Provokation Fragen stellen - der Film "Play", aus dem Jahr 2011 hat in Schweden eine Debatte über Rassismus ausgelöst. Hier werden drei weiße Jungen von fünf schwarzen beraubt. Auch diese Situation hat Östlund aus der Wirklichkeit genommen, da damals in Göteborg Überfälle mit ähnlichen Ansätzen stattfanden. Mit dem Film wollte Östlund unser extremes Bedürfnis, Rassismus außerhalb des eigenen Ichs zu verorten, aufzeigen. Rassismus ist so stigmatisierend, aber wenn wir uns selbst betrachten, neigen wir alle zu verschiedene Arten von Rassismus, meint er, und er wollte diese weiße schwedische Perspektive sichtbar machen.  


In “Turist” (Höhere Gewalt) aus dem Jahr 2014 untersucht Östlund die Männlichkeit und die Angst, das Gesicht zu verlieren, die uns lächerlich macht, meint er. Der Film dreht sich um eine schwedische Familie, die zum Skifahren in einem luxuriösen Ferienhotel in Frankreich ist. Sie sitzen auf der Terrasse des Hotels, als eine Lawine über die Terrasse hereinbricht. Während die Frau bei den Kindern bleibt, rennt der Mann im Reflex weg und lässt seine Frau und die Kinder zurück. Danach kann er sich sein Verhalten nicht zugestehen, dass er seine Familie im Stich gelassen hat, es passt nicht mit seinem Selbstbild zusammen. Und das ist genau das, was Östlund uns zeigen möchtet: wie weit wir bereit sind, um das Bild von uns selbst zu verteidigen. Der Vater des Films ist ein Antiheld, aber Östlund interessiert sich nicht für Helden, er findet Menschen mit Erfolg uninteressant. Auch dieser Film wurde der Beitrag Schwedens in der Kategorie Oscars für den besten nicht englischsprachigen Film.  



Die zweite Goldene Palme Östlunds wurde für “Triangel of Sadness” verliehen. Wie schon gesagt, steht in der Mitte des Films ein junges Liebespaar. Beiden arbeiten als Model und der Film dreht sich um Geld und Schönheit als Kapital. Die beiden haben wegen ihres Aussehens die ökonomische und soziale Leiter erklommen. Nach einem stürmischen Abend mit Seekrankheit und einer der längste Kotzszenen der Filmgeschichte werden sie auf einer einsamen Insel angeschwemmt - da gelten plötzlich andere soziale Hierarchien. Der Film wurde auch für drei Oscars nominiert aber hat keinen gewonnen. Ein Portrait des Filmes lest ihr hier. 


Östlund möchte einen Bruch mit dem Fokus des Einzelnen machen. Ein Fokus, der oft auch sehr dualistisch ist – es gibt oft ein Opfer und einen Täter. Geh einen Schritt zurück und beobachte unser Verhalten mit einem soziologischen Blick, ermahnt er. Östlund sucht ein anderes Narrativ, in dem die Geschichte anders erzählt wird, wo die Lösungen von den Problemen unsere Gegenwart nicht auf den Einzelnen liegen, sondern auf der kollektiven gesellschaftlichen Ebene.  


Obwohl Ruben Östlund noch relativ jung ist, erscheint voraussichtlich 2026 eine erste Biografie. Der Verfasser Marten Blomkvist sagt über Östlund: „Er ist ein Künstler und ein Stratege“. Man darf gespannt sein, mit welchen Filmthemen uns Östlund noch konfrontieren wird. Nur eines steht fest: Überraschend werden sie auf jeden Fall sein.  

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